So lange ich denken kann, begeistern mich Classic Cars mehr als Neuwagen. Und doch interessiert McLaren meine Meinung zu ihrem jüngsten Spross, dem Supersportwagen 650S. Krasser könnte der Lenkradwechsel nicht ausfallen: „Rentner gegen Renner“ sozusagen; denn jetzt stehen 69 PS meines langjährigen Alltagsfahrzeuges, einem ’72er Triumph Spitfire, gegen 650 PS des McLaren. Und damit ein Beschleunigungswert von 15 Sekunden bis 100km/h zu 8,4 Gänsehaut-Sekunden bis 200 (!)km/h. Vergleichbar scheint allenfalls die tiefe Sitzposition und der athletische Einstieg. Ansonsten liegen schon auf den ersten Blick Welten zwischen den beiden – und ein halbes Jahrhundert Entwicklungsgeschichte.
Ehrfürchtig drücke ich den McLaren-Startknopf und der preisgekrönte Twin Turbo V8 Motor faucht mich zur Begrüßung donnernd an. Meine noch trockenen Handflächen umfassen das kleine Alcantara-Lenkrad. Langsam schleiche ich an einer Gruppe grinsender 14-Jähriger vorbei Richtung Landstraße. Bis 30 km/h könnte ich das elektrische Klappdach öffnen, lasse es aber angesichts der möglichen Tempi bis 333 km/h geschlossen. 333 km/h ??? Das ist die dreifache Geschwindigkeit, die ich in meinem 72er Triumph erlebe, denke ich für einen Moment, und nähere mich der A81. Ich versuche gelassen zu bleiben. Nüchtern gehe ich im Kopf ein paar Zahlen durch. 3800 ccm im McLaren versus 1300 ccm Hubraum im Spitfire. Kapp 2 kg/PS (McLaren) gegen etwas über 10 kg/PS (Triumph). Wie ist das möglich? Ich muss daran denken, dass mein Triumph-Hardtop (Stahl) bereits soviel wiegt, wie das gesamte 80(!)lagige, selbsttragende Carbon-Chassis des McLaren (75 kg).
Nach der BAB-Auffahrte tippe ich das McLaren-Gaspedal kurz an und erreiche dank Doppelkupplungsgetriebe ohne Schaltpausen mit einem Wimpernschlag 159 km/h. Mit diesem Fahrzeug stehe ich außerhalb der üblichen V8-Konkurrenz und ein Vergleich zum sympathischen Triumph Spitfire ist – objektiv betrachtet – schwer möglich. Verzweifelt suche ich also nach anderen Parametern: Angesichts der Leistung muss dieser McLaren doch bretthart oder zumindest weniger liebenswert sein? Falsch, trotz Hartschalensitz in der Rennversion (bestellbar ist auch weicheres Alcantara-Gestühl) sitze ich bequemer als im Spitfire und es ist auch leiser im Innenraum, selbst bei geöffnetem Heckfenster.
Die Cylinder-Cut-Technologie, die eine Verpuffung im Auspuff beim Hochschalten erzeugt, trägt zur spektakulären Akustik im Sportmodus des McLaren bei (Video). Das wird durch eine vorübergehende Unterbrechung des Zündfunkens und ein Knallen des Kraftstoffs bei der Neuzündung erreicht. Der Spitfire knallt auch manchmal, verschluckt sich aber dann eher unfreiwillig. Auch so machen sich ein halbes Jahrhundert Entwicklungsgeschichte und Formel1-Erfahrung positiv bemerkbar. Dieser V8-Motor klingt unverwechselbar, denke ich, und nicht so zugeschnürt, wie bei vielen anderen neuzeitlichen Sportwagen. Die Fahrt durch wunderschöne Weinlagen Baden-Württembergs geht weiter.
Selbst ein Porsche GT3 aber auch große Audi, Mercedes und BMW bleiben chancenlos hinter uns, freuen sich allenfalls über unsere Vorarbeit auf der linken Spur. Alle bemerken dank meiner spielerischen Zwischensprints, dass ein Duell mit dem McLaren 650S wirklich sinnlos wäre. Denn selbst als der Verkehr mal kurz 265 km/h zulässt (Video), bleiben grenzenlos erscheinende Beschleunigungs- und Leistungsreserven (678 Nm …). Da kommt keiner mehr mit. Ich bin im Grunde „alleine“, denke ich etwas übermütig und genieße erstmals den Komfort dieses erstaunlich gut ausgestatteten McLaren-Supersportwagens. Carbon-Material ist im Innenraum nur vereinzelt zu sehen. Stattdessen zieren Alcantara und geschmackvoll mit der Karosseriefarbe korrespondierende Steppnähte die meisten Flächen. Das sorgt für eine gewisse Behaglichkeit, genauso wie die gute Belüftung (Klima) sowie die umfangreich ausgestattete, mittige Entertainmentkonsole mit permanentem Internet-Zugang (sehr schön!). Werde ich jetzt doch zum Supersportwagen-Enthusiasten, zum McLaren-Fahrer, überlege ich? Es gibt 231.000 rationale Gründe, die dagegen sprechen (Neupreis des McLaren 650S in EUR).
Und dennoch: Der Kaufpreis ist in Bezug auf die Leistungswerte – vor allem die Zwischenbeschleunigung – sowie Carbon-Chassis und Formel1-Technologie – ein vergleichsweise günstiger Preis. Insoweit hat der neue 650S, der seit letzten Sommer bereits 3.500 mal verkauft wurde (weltweit), echte Chancen am Markt. Denn die Zielgruppe wächst auf kleinem Niveau weltweit. Und nicht alle solventen Kunden wollen Ferrari, Lamborghini oder Bugatti fahren.
Schwungvoll nehme ich die letzten Kurven meiner ausgedehnten Testfahrt, genieße die direkte Lenkung die meinen Richtungswillen zu erahnen scheint und überlege ob ich vorhin bei 265km/h den Heckflügel hätte einfahren sollen, denn da hatte ich kurzzeitig das Gefühl, dass die Lenkung wegen des hinteren Anpressdrucks einen Tick zu leicht wird. Zurück im Spitfire (Neupreis 1972: 9.000 DM) und noch unter dem Eindruck des Geschwindigkeitsrausches im McLaren 650S, lege ich meine Hand auf abgeplatzen Schellack am Riesen-Lenkrad des Triumph und komme zu dem Fazit: Der McLaren Supersportwagen ist auch für Classic Car Enthusiasten eine Sünde wert!
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Ausnahmen bestätigen die Regel: diesen nagelneuen Supersportwagen würde ich in meine Classic Car Collection… http://t.co/k66RQCLryw