Die Reportage: “Rust never sleeps”

50er Buicks, Alamogordo, New MexicoHalb versunken im Wüstensand und mumifiziert von einer sengenden Sonne, dämmern tausende Automobile im Süden der Vereinigten Staaten der Ewigkeit entgegen. Eine Entdeckungsreise auf den Schrottplätzen in den Wüstengegenden von Arizona, Texas und New Mexico.

Der Kühlschrank in unserem Camper ist randvoll mit Dosenbier und T-Bone-Steaks. Im Radio läuft Musik von den Blues Brothers. Brabbelnd meldet sich der amerikanische Achtzylinder zu Wort, als mein Reisebegleiter John den Zündschlüssel dreht. Endlich: Die seit der Schulzeit verschobene Schrottplatzreise durch den Süden der USA geht los. Von Rhythm & Blues begleitet, steuern wir im Norden von Dallas (Texas) unser erstes Szene-Ziel an, den Pate Swap Meet.

Pate Swap Meet, Dallas, TexasVor Ort bieten professionelle und private Anbieter ein buntes Bild. Flohmarktbesucher und Hardcore-Schrauber flanieren zwischen großzügig dimensionierten Ausstellerreihen. Wir treffen Dwayne, einen alten Bekannten, der seit vielen Jahren mit Chevy-Teilen handelt. “Es läuft noch schleppend”, gibt er nach einer herzlichen Begrüßung zu. Dann erzählt er mit einem Leuchten in den Augen von dem neuen Trend.

Insider-Tipp: Chevy Nova

“Der Nachwuchs steht auf Chevy-Kombis aus den späten Sechzigern und frühen Siebzigern.” Er deutet auf einen 69er Bel Air Kombi, türkis-metallic lackiert. “Billig geduscht”, raunzt John nach einem fachkundigen Blick auf die Verkaufslackierung. Stimmt. Trotzdem sieht der Wagen, mit den wuchtigen Chrom-Sportfelgen, der türkisfarbenen Original-Innenausstattung und der Grünkeilscheibe, wirklich gut aus. Immer wieder bleiben Interessierte stehen und umkreisen die einst dröge Familienkutsche.

Fotoquelle: Frank R. Schulz, sleeping-beauties.deEin weiterer Klassiker mit Entwicklungspotenzial: der Chevy Nova. Früher verlacht, wird er jetzt zum gesuchten Sammlerobjekt. Auch Ford Mustang aus den 60er Jahren sind auf dem Pate Swap Meet auffallend teuer. Das Macho-Image, geprägt durch den Film “Bullit” mit Steve McQueen, hat die Preise galoppieren lassen. Nur die zweitürige Stufenheckversion ist bezahlbar, zu haben ab 2.500 Dollar.

Am nächsten Tag geht es Richtung Süden, vorbei an New Braunfels, der größten deutschstämmigen Siedlung Amerikas. Auffallend viele Pick-up-Trucks prägen das Straßenbild im Heimatstaat des US-Präsidenten George W. Bush. Endlich, an der Kreuzung zum Big Bend National Park, entdecken wir neue Schönheiten: Auf einem verwilderten Gelände mit einem verlassen wirkenden, hölzernen Bahngebäude blinzelt uns ein 59er Chevy Impala an.

Verblühte Hippie-Mädchen und ebensolche Fahrzeug-Wracks

Neugierig betreten wir das Gelände. In meterhohem Gras verstecken sich ein 57er Ford Fairlane Coupé, mehrere Pick-ups aus den Fünfzigern, ein Mercedes Ponton und ein 66er Ford Mustang Cabriolet. Auf unser Rufen erklingen aus einem schäbigen Wohnwagen Geräusche. Ein Hund kläfft, dann öffnet sich knarzend die Tür. Das verblühte Hippie- Mädchen Marlene sieht uns fragend an und zeigt uns dann das Classic Car Gelände. “Das gehört alles Ted”, sagt sie und macht eine ausladende Handbewegung: “Er sammelt alles.”

In Gedanken zerlege ich bereits den schrottreifen 66er Mustang, den uns Marlene zeigt, doch wir müssen weiter. Am Ortseingang von Fort Davis sehen wir rund 50 Oldtimer hübsch aufgereiht im Freien. Wir erfahren, dass das alte Blech Sammlern gehört, die ihre Schätze wegen der Gefährdungshaftung (vor allem gegenüber Kindern) nicht auf öffentlichen Straßen stehen lassen können. Zum Verkauf steht hier leider nichts.

Über Pecos, Red Bluff und Carlsbad fahren wir zum Brantley Staudamm und schließlich weiter in die UFO-Stadt Roswell. Außerhalb der Stadt besuchen wir die Classic Car Goldgrube “Diamond Auto Parts”. Der Name ist hier Programm. Auf einem riesigen Freigelände stapeln sich so gut wie alle Autoraritäten der 50er bis 70er Jahre. Einheimische Händler berichten uns, dass der Eigentümer ein kauziger Kerl sei, der so gut wie nie anzutreffen ist. Schrauber der Region lecken sich alle Finger nach den Teilen, die man durch einen hohen Metallzaun zwar gut sehen kann, aber an die man eben leider nicht herankommt.

Michael Briggs, Inhaber von “Jim’s Auto Sales”, weiß sich aber auch anders zu helfen: “In New Mexico sind die Teile ohnehin viel günstiger als in Texas”, sagt er, nachdem wir eine Weile interessiert um seinen 64er Mercury Comet geschlichen sind.

Kompletter Schrottplatz für 180.000 Dollar

Westlich von Alamogordo stoßen wir auf “Continental Specialties”. Der grantelnde Inhaber hat sich auf alte Volkswagen spezialisiert. Als er bemerkt, dass wir ehrliches Interesse zeigen, bietet er uns das komplette Gelände inklusive aller Fahrzeuge für 180.000 Dollar an. Der 70-jährige Witwer ist frustriert, weil seine einzige Tochter außerorts verheiratet ist und kein Interesse an dem Business hat. Er will sich aber zur Ruhe setzen. Ein Jammer, denn wir entdecken hübsche Bullis, Typ 4, VW-Porsche, Karmann und Käfer.

Doch wir wollen uns nicht niederlassen, also weiter Richtung Tucson. Es ist brüllend heiß, als wir außerhalb der Stadt kurz bei “Vintage Steel” halten, einem Classic Car-Veredler. Wir schießen Fotos von seinen jüngsten Projekten, einem VW Samba Bus und einem 59er Ford Country Station Wagon mit riesigen Chromrädern. Aber unser eigentliches Ziel heißt Hidden Valley, das versteckten Schrottauto-Tal rund 25 Minuten südwestlich von Phoenix.

Auf einem Schotterweg legen wir die letzten Meter zurück. Da, endlich, in Maricopa sehen wir es, das riesige Freigelände von “Hidden Valley Auto Parts”, dem größten Autofriedhof Amerikas.

Der größte Autofriedhof Amerikas: Mehr als 2,4 Millionen Quadratmeter Fläche

Auf einer gigantischen Freifläche erstrecken sich endlos wirkende Reihen klassischer Autowracks. Gut konserviert, bei über 50 Grad im Sommer und wenig Niederschlag, warten amerikanische Straßenkreuzer und sogenannte Import-Cars darauf, ausgeschlachtet zu werden. Bestellungen kommen aus aller Welt, vor allem via Internet (www.hiddenvalleyautoparts.com); man kann aber auch vor Ort selbst Hand anlegen.

Route einer US-Schrottplatzreise. Fotoquelle (privat) bzw. sleeping-beauties.de

Wie kommt man zu so viel rostigem Kulturgut? fragen wir uns. “Den Grundstock legte mein Vater”, sagt Jeff Hoctor, “er kaufte 1961 zunächst einen Teil des Geländes.” Hoctor senior war damals auf der Suche nach einer großen Freifläche für Schrottfahrzeuge eines Autofriedhofs, den er in Oregon gekauft hatte – überwiegend Straßenkreuzer aus den 50er Jahren, die er vor der Presse hatte retten wollen. Das Gelände in Oregon gehörte ihm nicht, es sollte bebaut werden, daher musste er sich was einfallen lassen und fand zum Glück dieses Freigelände nahe Phoenix.

Mit einem ganzen Schrottplatz von Oregon nach Arizona umziehen? Da ist jeder noch so große Umzuglaster dieser Welt überfordert. Der Senior verlud die zum Teil noch fahrbereiten Schätze in Zugwaggons und brachte sie nach Maricopa. Inzwischen stehen hier über 10.000 Fahrzeuge, denn alle Abschleppdienste der gesamten Region liefern ständig neue alte Ware an. Zudem kauft Jeff Hoctor bei günstigen Gelegenheiten ganze Container voller Schrottfahrzeuge auf.

Chaos mit System – in 80 je einen Kilometer langen Reihen

Sein Gelände ist groß genug dafür: “Auf jeder Seite des Büros erstreckt sich eine Fläche von zehn Fußballfeldern”, sagt Jeff, und macht eine ausladende Handbewegung. “Alle Autos stehen nebeneinander, werden möglichst nicht gestapelt, damit man besser und sicherer daran arbeiten kann.” Auf der einen Seite des Freigeländes stehen ausschließlich US-Fahrzeuge, auf der gegenüberliegenden nur europäische und japanische.

Als wir sein Büro verlassen, blicken wir in jeweils einen Kilometer lange Reihen – insgesamt 80 Stück davon. Hinter dem vermeintlichen Chaos steckt penible Ordnung und ein System. Die Wracks sind nach Hersteller, Typ und Baujahr sortiert. Schnell wird klar, dass wir das Gelände unmöglich an einem Tag ablaufen können. Jeff schmunzelt und beauftragt einen seiner Mechaniker, uns rumzufahren. Joe ist eine von 14 Personen, die dieser Familienbetrieb beschäftigt.

Rechts und links von uns wirbelt der Wüstensand auf, als wir an schlafenden Schönheiten vorbeisausen. Ich will wissen, ob nur Teile oder auch Komplettfahrzeuge verkauft werden. “Wenn man einzelne Exemplare wirtschaftlich sinnvoll retten kann, verkaufen wir sie auch am Stück”, sagt Joe.

Der Erhaltungszustand ist sehr unterschiedlich – und auch der Grad der Ausschlachtung. Bei den Importmodellen interessiere ich mich vor allem für frühe Datsun Z 240, Toyota Celica, Alfa Romeo, Mercedes-Benz und Volkswagen. Die Mehrzahl stammt aus den späten 60er und 70er Jahren.

80 Prozent der Ware wird verschickt

“Viele Wagen wurden von Soldaten, die aus Auslandseinsätzen heimkehrten, mitgebracht”, erklärt Jeff, als wir wieder bei ihm im Büro sind. Und weiter: “Die Auswahl an US-Fahrzeugen ist natürlich wesentlich größer. Besonders gut sortiert sind wir bei Autos der 50er und 60er Jahre.” Sehr beliebt seien Cadillac-Teile, vor allem in Übersee – und zwar fast aus allen Baujahren. “Chevrolet- Teile der Fünfziger gehen auch immer”, ergänzt Jeff Hoctor, “davon hätte ich gern noch mehr, vor allem 55er bis 57er. Früher gingen diese Schlitten als Komplettfahrzeuge weg, jetzt kann man aus den Teilen viel mehr rausholen.”

Verpackt für den Versand werden diese Schätze von Jeffs ältestem Mitarbeiter Steve. “Steve hat hier schon gute Arbeit geleistet, als mein Vater noch die Geschäfte führte”, sagt Hoctor. “Jetzt verpackt er Teile, die telefonisch oder per Internet bestellt werden – und er macht das sehr sorgsam und trotzdem flink. Immer mehr unserer Ware wird nämlich verschickt, inzwischen rund 80 Prozent. Das Meiste geht an die Ostküste, rund ein Zehntel nach Übersee, vieles nach Skandinavien, aber auch nach Australien oder sogar Japan.”

Und was macht der traditionsreiche Familienbetrieb, wenn irgendwann mal alles ausgeschlachtet und verkauft ist? Hoctor lässt seinen Blick über die endlosen Reihen von Schrottautos wandern. “Hm, finden Sie, dass ich davor Angst haben muss? Nein, hier werden jeden Tag neue Teilespender angeliefert. Und was heute noch ein Youngtimer ist, wird morgen schon ein gesuchtes Classic Car sein”, meint Jeff schmunzelnd. Stimmt, und so darf die Schraubergemeinde weiterhin von schlafenden Schönheiten und deren Wiederbelebung träumen. (Quelle: Motor-Klassik.de, 11. August 2008; Autor: Frank R. Schulz – unternommen wurde die Reise bereits 2006).